Love-Parade-Ordner Fatale Funkstille im Chaos

Was tat die Polizei?, fragten viele unmittelbar nach der Katastrophe von Duisburg. Dabei lag die Verantwortung für die Sicherheit auf dem Gelände allein beim Veranstalter und seiner bunt zusammengewürfelten Ordnertruppe - und die scheint völlig überfordert gewesen zu sein.
Ordner bei der Love Parade: Überfordert und unterbezahlt?

Ordner bei der Love Parade: Überfordert und unterbezahlt?

Foto: Fredrik von Erichsen/ dpa

Es war ein Satz, der deutlicher kaum hätte ausfallen können: "Das Ordnersystem des Veranstalters ist zusammengebrochen", sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger am Mittwochnachmittag, um kurz darauf nachzulegen, auf dass es ein jeder im Saal der Landespressekonferenz endlich begreife: "Der Ordnungsdienst hat seine Aufgabe nicht erfüllt."

An dem Einsatz beteiligte Polizisten und Love-Parade-Besucher hatten schon in den vergangenen Tagen offenbart, sie hätten den Eindruck gehabt, das Sicherheitspersonal des Veranstalters Lopavent sei mit dem Großeinsatz völlig überfordert gewesen. "Die haben die Masse einfach sich selbst überlassen", so Augenzeugen des Desasters von Duisburg.

Doch wer waren eigentlich die Ordner in ihren babyblauen T-Shirts mit Love-Parade-Logo? Welche Firmen stellten sie? Wie wurden die Männer und Frauen ausgebildet und warum machten sie, wenn die Angaben des Innenministers denn stimmen, derart viele Fehler?

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Polizei-Dokumentation: Chronik der Love-Parade-Katastrophe

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Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen wurde die Mega-Party in diesem Jahr erstmals nicht mehr nur von einer Sicherheitsfirma geschützt, sondern von fünf verschiedenen. Bei ihnen handelte es sich um die Kölner Unternehmen R.A.D. und SMS Security, CCS Security aus Solingen sowie die Essener Firmen Challenge Security und den Wach- und Schutzdienst Kötter.

Warum Lopavent sich dazu entschied, die Veranstaltung von mehreren Firmen sichern zu lassen, ist unklar. Eine Anfrage zu dem Thema ließ das Unternehmen, das dem McFit-Betreiber Rainer Schaller gehört, bislang unbeantwortet. Die Sicherheitsunternehmen bestreiten jedenfalls, dass dadurch Kosten gespart wurden. Es habe für alle Ordner ein einheitlicher Stundensatz gegolten, hieß es. Über dessen Höhe schweigen sich die Manager allerdings aus.

Dabei steht die Branche nicht gerade für die besten Arbeitsbedingungen. Den Konkurrenzkampf halten nicht nur Gewerkschafter für gnadenlos, Lohndumping sei keine Seltenheit, heißt es. Mitglieder des Bundesverbands Deutscher Wach- und Sicherheitsdienste müssen zwar bestimmte Kriterien erfüllen, etwa tarifliche Löhne zahlen, Qualitätsstandards einhalten und ihre Mitarbeiter schulen. Doch es gibt jede Menge schwarzer Schafe, die diese Standards nicht besonders kümmern.

Ein Ordner, der 2007 und 2008 bei der Love Parade eingesetzt wurde, sagte SPIEGEL ONLINE: "Ich bin für diesen Job damals kein bisschen ausgebildet worden." Die Einweisung habe sich auf eine knappe Ansage beschränkt: Man solle dafür sorgen, dass niemand zwischen die Wagen des Zugs gerate. Sieben Euro in der Stunde habe er dafür bekommen. "Dafür habe ich mir jetzt kein Bein ausgerissen, das ist klar, oder?"

So etwas sei im Ernstfall natürlich verheerend, meint der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Erich Rettinghaus: "Es ist doch klar, dass diese Leute zum einen entsprechend geschult, zum anderen ordentlich bezahlt werden müssen." Immerhin trügen sie die Verantwortung für die körperliche Unversehrtheit der Partygänger. "Sparen darf man hier nicht!"

Zahl der Ordner

Qualität ist das eine, doch auch an der Zahl der Ordner wird inzwischen gezweifelt.

Das Innenministerium geht davon aus, dass im Eingangsbereich zur Love Parade, also in den beiden Tunneln sowie auf der Rampe, nicht wie geplant 150 Security-Leute eingesetzt worden sind. Dabei kam diesen sogenannten Pushern die entscheidende Aufgabe zu, die Menschen zügig auf das Gelände zu schleusen, ohne dass sich gefährliche Stauungen bildeten. Dass dies nicht klappte, ist inzwischen klar.

Augenzeugen wie die jungen Love-Parade-Besucher Lena und Tim trafen lediglich am Eingang des Tunnels auf Ordner. "Den ganzen Weg bis zu der Rampe haben wir keinen einzigen gesehen - auch nicht, als das Gedränge unerträglich wurde." Und Sven Ritter aus Wuppertal sagte: "Sicherheitsleute standen erst wieder oberhalb der Rampe, als wir zur Bühne liefen. Davor, mitten im Chaos, habe ich keinen entdeckt."

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Nach der Katastrophe: "Duisburg erholt sich davon nicht mehr"

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Für Tunnel wie Rampe waren nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen die Unternehmen SMS und Challenge Security zuständig. SMS stellte demnach nicht nur den Verantwortlichen für den Einlassbereich, sondern auch den "Head of Security", der für die Sicherheit auf dem Veranstaltungsgelände verantwortlich war . Die dort eingesetzten Polizisten, insgesamt vier Hundertschaften, sollten lediglich Anzeigen aufnehmen, Schlägereien schlichten, Diebstähle aufklären. Für den Einlass waren sie nicht zuständig.

Weder Challenge Security noch SMS Security nahmen bislang auf SPIEGEL-ONLINE-Anfrage Stellung zu dem Thema.

Am Samstagnachmittag riefen die überforderten Sicherheitsleute in den Tunneln und auf der Rampe dann dennoch die Polizei zu Hilfe, die mit Menschenketten versuchte, die massenhaft herandrängenden Besucher aufzuhalten - vergeblich.

Wie viele Ordner waren im Einsatz?

Es gibt Hinweise, dass der Veranstalter insgesamt weniger Security-Leute einsetzte als versprochen, doch geklärt ist das noch nicht. "Da die Party erst kurz vor knapp genehmigt wurde, kann ich mir gut vorstellen, dass auch bei den Ordnern geschlampt wurde", sagte ein Polizist. "Wer hätte denn merken können, wenn statt 1000 nur 600 Ordner aufschlagen?"

Die Sicherheitsfirmen weisen diesen Vorwurf zurück. Ihre Leute hätten sich zentral registrieren müssen, wenden sie ein. "Ich war bei dem Verfahren dabei", so R.A.D.-Geschäftsführer Jan-Ole Dietrich zu SPIEGEL ONLINE. Die Registrierung sei zwingend erforderlich für die Abrechnung mit dem Kunden. In den Listen sei nachvollziehbar, wer seinen Dienst angetreten habe und wer nicht. "Es ist unmöglich, Leute in Rechnung zu stellen, die nicht da waren", sagte Dietrich. Die Prüfung, ob die Zahl der Ordner korrekt war, oblag nach Angaben der Polizei der Stadtverwaltung. Ob sie stattfand, ist unklar.

Anders als Politik und Veranstalter, die sich aus der Verantwortung zu stehlen scheinen, sind die Sicherheitsfirmen um Schadensbegrenzung bemüht. Eine Katastrophe wie bei der Love Parade bedeutet für die Firmen einen unkalkulierbaren Imageverlust. Nach eigenen Angaben mussten sich inzwischen viele Unternehmen vor ihren Stammkunden rechtfertigen. Wer will sein Event schon von Leuten sichern lassen, die im Verdacht stehen, auf fatale Weise versagt zu haben? Je länger die Verantwortlichkeit hin- und hergeschoben wird, desto mehr Kunden drohen abzuspringen.

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Polizei-Dokumentation: Chronik der Love-Parade-Katastrophe

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Zwei Tage nach der Katastrophe schrieben die R.A.D.-Chefs auf ihrer Homepage: "Wir (...) distanzieren uns ausdrücklich von den sicherheits- und ordnungsdienstlichen Konzepten und Maßnahmen, welche die Besucherführung und die Ein- und Auslasskontrollen (…) betroffen haben."

Dennoch versichert der R.A.D.-Geschäftsführer Robert Ahrlé inzwischen, das in drei Monaten entwickelte Sicherheitskonzept sei "in der Theorie absolut tragfähig" gewesen. Alle Firmen, die zu einem Gespräch mit SPIEGEL ONLINE bereit waren, sind im Rückblick der Ansicht, dass der Plan hätte aufgehen können - wenn die Absprachen im Eingangsbereich funktioniert hätten und eng zusammengearbeitet worden wäre, untereinander sowie mit der Polizei.

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Nach der Katastrophe: "Duisburg erholt sich davon nicht mehr"

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Auch der Frankfurter Sicherheitsforscher Rainer Könneke geht davon aus, dass die schlechte Abstimmung der Sicherheitskräfte entscheidend für das Desaster war. "Die Katastrophe von Duisburg ist ein Beispiel dafür, dass die Koordination nicht geklappt hat." Dabei müsse gerade dann alles reibungslos funktionieren, wenn man sich - wie hier geschehen - auf einen kombinierten Zu- und Abgang einlasse.

Nach Ansicht Könnekes, der zurzeit an einem wissenschaftlichen Projekt zur Sicherheit bei Großveranstaltungen arbeitet, müsse geklärt werden, ob die Kommunikation funktioniert habe und ob die Situation vor Ort tatsächlich dem Lagestab gemeldet worden sei.

Die Sicherheitsfirmen machen jedenfalls eine mangelnde Kommunikation im Einlassbereich für das Desaster verantwortlich. Während auf der Rampe nichts mehr voranging, strömten immer mehr Menschen ungehindert in die Sackgasse. Einer der eingesetzten Ordner bekannte, es habe an der Verständigung mit der Einsatzleitung gehapert: "Alle warteten auf Befehle, aber es kamen keine."

Gab es ein Funkloch?

Feuerwehrleute und Polizisten, die am Samstag in Duisburg Dienst taten, beklagten sich über Schwierigkeiten mit ihren analogen Funkgeräten. Die Kommunikation zwischen den Einsatzkräften sei zumindest schwierig, zeitweise sogar unmöglich gewesen. Gab es ein Funkloch? Wussten die Sicherheitskräfte an den Tunneleingängen im entscheidenden Moment nicht, dass sich die Menschen längst auf der Rampe drängten?

Die Funkgeräte "sind teilweise so alt, dass man keine Ersatzteile mehr dafür bekommt", sagte Andreas Nowak von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Nordrhein-Westfalen. Immer wieder komme es vor, dass sich Beamte mit den Geräten im sogenannten Funkschatten befänden und in gefährlichen Situationen nicht erreichbar seien. "Es ist häufig so, dass Polizisten ihr privates Handy mitbringen, falls sonst gar nichts mehr geht", so Nowak.

Doch am Samstagnachmittag waren auch die Handy-Netze zusammengebrochen. Und es scheint, als sei es zur Tragödie gekommen, weil Polizei wie Ordner mit der Zahl der Menschen auf engstem Raum überfordert waren, weil niemandem mehr Raum blieb, die Massen aufzuhalten, und nicht alle stets wussten, was die anderen gerade taten. Chaos könnte man das nennen, tödliches Chaos.

Hinweis der Redaktion: Einen Tag nach der Veröffentlichung dieses Artikels meldet sich das Kölner Sicherheitsunternehmen SMS Security zu Wort: Man habe - anders als hier dargestellt - auf der Love Parade in Duisburg nicht den "Head of Security" gestellt, teilt die Firma mit.

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